Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Freitag, 30. März 2007
Eine Postkarte aus: Hannover. Zwischen italienischem Erwachen, deutschem Zwiebelmett und einer fragwürgigen Franzosenwurst zur Nacht.
herr paulsen
22:54h
So schlecht ist Hannover nicht. Zum Beispiel fängt in Hannover der Tag gut an. Dazu versammeln sich die Hannoveraner in der Markthalle, einem grobem Betonklotz mit Fensterfront, der unzählige Gemüsestände, Fleisch- und Fischhöker, Bäckereien, aber vor allem Fressbüdchen beherbergt. Mitten in der Stadt. Die deprimierende Messehalle ist schon im Frühtau angefüllt mit erstaunlich morgenfröhlichen Menschen und lautstarkem Redebedarf. Es mangelt nicht an Italienern, die an ihren folkloristisch geschmückten Buden „fünf Expressssos mit bischchen Ladde drauf, Gschordschio, wie immer!“ ausschenken. Jede Bude hat ihre Stammgäste, die sich jeden Tag um die gleiche Zeit dort treffen und diese treuen Menschen kämen niemals auf die Idee, sich ihren italienischen Morgen auch nur eine Bude weiter abzuholen. Aufgeklebte Fußwege auf Beton teilen die Halle in Reviere. Hinter den Markierungen tagen die Presseclubs über den Bildzeitungsschlagzeilen, essen Mortadellabrötchen, trinken cremigen Kaffee und denken an Sekt. Zehn Tage arbeite ich in Hannover und auch ich habe schon meinen Lieblingsitaliener. Hinter dem Tresen stehen vier junge Italienerinnen, die mir die Wahl schon am ersten Tag erleichterten. Die Menschen die sich bei meinen Italienerinnen treffen sind leider schlimm. Die üppig geschminkten Frauen tragen hochhackiges Lederwerk bis zur Wade und kucken böse, weil sich ihre Männer schon seit Jahren gehen lassen. Die Männer erzählen sich Witze und was sie gestern Abend so alles getrunken haben. Dann wird viel gelacht und dann feucht gehustet. Einen Freund habe ich auch schon gefunden. Mein türkischer Gemüsehändler nennt mich jedenfalls seit drei Tagen „mein Freund“. Er liebt die große Geste und hat Herz: „Hier mein Freund, nimms du ma geschnitten Obst mit, für dein Mittagspause!“ Er hat raus gefunden, dass ich jeden Morgen komme, unkontrolliert so ziemlich alles einpacke und bereit bin Fantasiepreise zu zahlen. Und er hat Humor: Gestern war ich abends noch was Essen. Vom Tagwerk müd und mürb, erklärte ich meinem Freund Mike, ich sei: „allerhöchstens noch in der Lage ca. 100 Meter zu laufen.“ Mike ist ein wunderbarer Gastgeber. Er kennt alle guten Restaurants in Hannover. Aber er stellt sich auch, schnell und flexibel, auf die Befindlichkeiten seiner Gäste ein. 100 Meter von Mikes Wohnung entfernt, befindet sich das Restaurant „Le Monde“. Das einstige Klohäuschen beherbergt jetzt ein französisches Bistro, geleitet von zwei frankophilen Deutschen. Drinnen ist es wenig Französisch, eine dunkle Rigips-Butze die komplett mit geschraubten Alurahmen zusammen gehalten wird, aus den Deckenlautsprechern rieseln leise alte Chansons auf die Papiertischdecken. Madame ist streng. Beleidigt nimmt sie unseren Wunsch nach einem kleinen Pils zum Feierabend entgegen, wortlos wird die Speisekarte überreicht. Der Koch hat nicht viel zu tun, sitzt schweigend im Eingangsbereich und starrt auf die vierspurige Marienstrasse. Die meisten Gäste haben schon gegessen. Und jetzt aber wir! Es reitet mich ein neugieriger Teufel. Hier werden Froschschenkel serviert und obwohl ich bei einem französischen Koch gelernt habe und sehr viel essen gehe, Froschschenkel hatte ich noch nie. In Deutschland sind die doch verboten, denke ich, genau weiß ich es nicht, wahrscheinlich Zuchtware oder so, oder illegal. Ich bestelle also drei Froschschenkel in Petersilienbutter. Menschen die schon Froschschenkel gegessen haben, erzählen IMMER es schmecke wie Huhn nur zarter. Es schmeckt wie Kaninchen und ist nur leidlich zart, serviert in einem Meer aus Butterfett mit Petersilie und ist insgesamt unglaublich langweilig. Zumindest weiß ich das jetzt. In große Not stürzt mich aber der Hauptgang. Ebenfalls wissbegierig bestelle ich Andouillette mit Senfsauce, eine Wurst die mit Schweineinnereien gefüllt ist und „mit nichts zu vergleichen ist, jedenfalls mit nichts was es bei uns gibt“, so die strenge Wirtin. Ja gut, ist ja jetzt auch egal, nehm ich. Wurde die Vorspeise noch von Madame serviert, nähert sich jetzt der Koch mit unseren Tellern, fitzelig-graues Zuckerwattehaar quillt aus der Kochmütze. Er schenkt uns beiden ein Lächeln: dem Kenner, der die Fischfrikadellen bestellt hat und dem Idioten der „unser Gericht für ganz Mutige!“ bestellte. Auf meinem Teller liegt ein Penis. Ein verrunzelter, trockener, prähistorischer Tierpenis mit pergamentener Haut. Ich habe in meinem Leben schon ganzen Hirschen das Fell abgezogen, ich habe halbierte Kuhköpfe gekocht und anschließend die Maske vom Gesichtsknochen gelöst, aber das hier haut mich um. Mir ist sofort ein bisschen schlecht. Ich schneide durch die Pergamenthaut, Füllung fällt heraus, Fleischfetzen, viel Gewürm, unkenntliche Bröckchen, alles krümelig, ohne Bindung. Und ein umwerfender Gestank steigt in die Nase, ein Gestank der sehr stark an die Vorgeschichte des Hauses erinnert, in dem wir sitzen. Ich bin Profi. Ich führe die Gabel zum Mund, kaue kurz und hoch, der Ekel trifft mich wie ein Schlag. Ich schlucke. Ich schiebe den Teller weg. Es stinkt vom Teller her. Die Fischfrikadellen von Mike schmecken köstlich, wunderbar zarte Fischfarce, viele Fischstücke, eine cremig-schwere Sahnesauce die nach Dill duftet und Anis. Also duften würde, stünde mein Stinke-Teller nicht noch auf dem Tisch. Den räumt der Chefkoch selbst ab, süffisant lächelnd. Ich erkläre wortreich, dass es nicht an seinen Kochkünsten läge, es sei wohl eher im Allgemeinen die Andouillette nicht für mich gemacht. „Ich weiss“ antwortet er ebenso wortreich, „doch viele Hannoveraner kommen gerade wegen dieser Wurst, ich esse sie ja selbst auch nicht, es ist aber eine gute Wurst, sie kommt aus Troyes, der französischen Hochburg der Schweinezucht“. Aufgeklärt verzichten wir aufs Dessert und bestellen noch zwei Gläser Wein. In sechs Stunden macht Lotti auf.
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