Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 27. Februar 2007
Warum ich auf der Autobahn von Hamburg nach Hannover, kurz vor der Raststätte Allertal, immer dankbar winke.

Auf der Autobahn von Hamburg nach Hannover, kurz vor der Raststätte Allertal, da ist ein Stückchen des Jägerzauns nicht ganz so verwittert wie das übrige Metallgeflecht, da sind drei Holzpflöcke nur leicht ergraut und jedes Mal wenn ich daran vorbei fahre, winke ich den jungen Holzpflöcken zu, erfreue mich am matten Leuchten von vier Metern Maschendraht und der Tatsache, dass wir alle noch am Leben sind. Ich fahre nicht oft nach Hannover, gestern hatte ich dann mal wieder Gelegenheit dankbar zu winken und mich zu Erinnern, an diese Fahrt nach Hannover vor etwas mehr als vier Jahren.

Wir fuhren auf eine Party. Nach Hannover. Party und Hannover, das muss sich nicht ausschließen, nette Leute hatten eingeladen und ich packte die Hamburger in mein Auto, Sabine und Andreas, die Turteltäubchen nach hinten, neben mir saß Timo der Automechaniker, den kannte ich nicht, aber wir kannten die selben netten Leute in Hannover. Andreas schlief sofort auf Sabines Schoß ein und Sabine zählt Bäume. Ich schmiss eine CD in den Player und wir waren schon kurz vor Hannover, da sprach Timo: „Dein Auto klackert.“ Ich schaltete die Musik aus und jetzt hörte ich es auch, das Auto klackerte. Wenn ich langsam fuhr leise, wenn ich schnell fuhr lauter. Ein Fall für Timo den Automechaniker, dachte ich, verlangsamte und fragte ihn mal so, was denn so ein Klackern bedeute. Timo wusste es nicht: „Kommt irgendwie von vorne, ausm Motorraum, kann alles Mögliche sein.“ Timo war wirklich ein richtiger Mechaniker merkte ich, nix sagen und wenn der Kunde vom Hof ist, den Kostenvoranschlag schreiben.
Noch vier Kilometer bis zur nächsten Raststätte, das ist zu schaffen dachte ich, ignorierte das bedrohlich lauter werdende Klackern und fuhr mit Hundertzwanzig, auf der mittleren Spur, der rettenden Tanke entgegen. Timo starrte derweil auf die Motorhaube, ob da schon was rauche oder so. Ich starrte aus meinem Seitenfenster, ein kräftiger Ruck, ein goldener Funkenregen, das Auto neigte sich nach vorne links. Und driftete nach rechts ab.
Das ist jetzt kein Witz: als Erstes setzte ich den Warnblinker. Dann bremste ich sehr vorsichtig ab, im Augenwinkel sah ich ein Vorderrad, es musste meines sein und es fuhr ungebremst weiter Richtung Hannover. Unterstützend lenkte ich den Wagen auf seinem Weg über die Kriechspur, sah in den Rückspiegel, ja, die hinter mir sahen auch die Funken und hurtig ging es durch einen Graben, der Jägerzaun warf sich wie ein Netz über den Wagen, ächzend fielen verwitterte Holzpflöcke, einer übergab sich in die Windschutzscheibe. Sabine rief: „Ohgottohgottohgott“, ein Endlosloop, davon wurde Andreas wach und sah erstmal einen Zaun auf sich zukommen.

Dann Stillstand, Stille.
Nun geht ja ein jeder mit so einer Situation anders um. Ich erkundigte mich nach Verletzten, allen ging es soweit ganz gut. Andreas stieg aus dem Wagen, „ich muss mal pinkeln.“ Durch die zerborstene Frontscheibe sah ich ihn den waldigen Hügel hinaufsteigen. Sabine rief: “Ohgottohgottohgott...“ Und Timo moserte: „Scheiße, ich wollte einmal so nen Airbag aufgehen sehen.“ Er erklärte mir vorwurfsvoll, dass wir höchstens noch Tempo dreißig draufhatten, beim Aufprall, sonst hätte der Airbag nämlich ausgelöst.
Ich stieg aus, vor uns sah ich viele Autos auf dem Standstreifen, Menschen rannten auf die Unfallstelle zu, einer stülpte sich eine Rettungsweste über, erreichte den Wagen als Erster und fragt atemlos nach den Verletzten. Ungläubig sah er mich an, als ich ihm meine Fahrtgäste vorstellte: “Waaas, Sie alle waren in diesem Auto?“

Plötzlich wurde mir doch schwindelig, ich musste mich ein bisschen am Wrack festhalten. Sabine hatte sich erholt, rief per Handy die Polizei und dann den ADAC. Andreas stolperte aus dem Wald und schloß den Reisverschluss seiner Jeans. Ein gut gekleideter Herr betrat die Szene, fragte nach dem Fahrer, begrüßt mich und sprach: „Entschuldigung, ich glaube das ist ihr Autoreifen.“ Wie ein Kellner, der einem Gast eine vergessene Jacke hinterherträgt, überreichte er mir den Reifen und stellt sich vor. Es war der Chef der Allianzversicherung in Berlin und mein geflohenes Rad war in die Seite seines Wagens gefahren.
Der Mann vom ADAC war sehr freundlich, obwohl ich gar nicht im ADAC war. Aber das hatte Sabine schon für mich durchgeplant: “Wir sagen einfach du bist mein Mann.“ In der Fahrerkabine durften wir mitfahren, er schleppte uns und das Auto zur Raststätte Allertal und Sabine zog ihre ADAC Mitgliedskarte aus dem Portemonnaie. Der Fahrer staunte nicht schlecht, als er das Bild von Andreas in Sabines Geldbörse entdeckt und ich fühlte mich plötzlich ziemlich liberal.

Der ADAC hat Sabine und mich nicht als Lebenspartner anerkannt, da wir in verschiedenen Wohnungen leben. Mein Wagen war noch zu retten. Den Zaun und den Wagen des freundlichen Allianzchefs hat meine Versicherung bezahlt. Die Ursachenforschung liegt im Dunkeln. Entweder hatten meine zahlreichen Feinde Nachts die Schrauben gelöst, oder die Werkstatt war es, beim Wechsel von Winter- auf Sommerreifen. Ich habe die Werkstatt eines großen Automobilherstellers verklagt. Mein Ansinnen stand unter keinem guten „Stern“. Mein Anwalt erhielt nicht nur Namen und Arbeitszeiten, der dreifach prüfenden Belegschaft, nein, auch Kopien, der letzten TÜV-Untersuchung der Schraubendreher lagen bei.
Bleiben also die zahlreichen Feinde.

Die Party war scheiße. Wir waren alle innerhalb von einer Stunde betrunken, unserer Erzählung löste eine Lawine von Unfallerlebnis-Erzählungen aus und als keiner mehr einen Unfall zu berichten hatte, ging es an die Unfälle aus zweiter Hand.

Sabine und Andreas haben geheiratet, ihre Tochter, die damals mit im Wagen saß, was ich nicht wusste, ist vier Jahre alt und hat einen zweijährigen Bruder.

Timo wartet noch immer auf den Airbag.

Und ich kann gar nicht aufhören zu winken, auf der Autobahn von Hamburg nach Hannover, kurz vor der Raststätte Allertal.