Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 8. August 2006
Verliebt am Strand. (Still crazy after all this years)

„Boah, Alta, ick dreh durch, jetz kiek doch ma, nee wat ne Pracht, Hamma, dit jibts doch garnich!“ Opa Paulsen geiert von seiner Zehn-Euro-die Stunde-Strandliege („brauch ich für mein Rücken!“) der Damenwelt nach. Was ihn gerade derart in Verzückung versetzt, dass er sogar berlinert, sind drei sonnengebräunte, barbusige Spanierinnen auf dem Weg zur Strandbar. Wenn es bei Opa Paulsen so ein bisschen anzüglich wird, berlinert er. Keine Ahnung warum. Vor geschätzten tausend Jahren lebte er mal ne zeitlang in Berlin, war nicht seine beste Zeit, sagt er selber, aber wenn es so knickknackzickzacknasiewissenschon wird, berlinert Opa Paulsen. Meistens auch noch falsch. Er nervt.
„ Die sind doch gemacht! Dit is doch niemals die Natur! Paulsen, jetz kiek doch ma, dit is doch nicht echt! Ich sach ma, zwanzig Euro, dat die nich echt sind.“
„Ist mal gut jetzt Opa Paulsen, ich möchte gerne lesen.“, sage ich möglichst bestimmt. „Aaach! Der feine Herr will lesen! Vielleicht nachher noch mal ein bisschen bekloppt durch die Wellen hüpfen bei Rot? Jedem das seine, sag ich immer, ich genieße jetzt jedenfalls noch ein bisschen die Aussicht!“, mault Opa Paulsen und schiebt die blickdichte Sonnenbrille in Position. Ich möchte wirklich lesen. Das vorletzte Buch von Gunter Gerlach (der Mann schreibt schnelle als ich lesen kann), „Ich bin nicht“, wie immer sensationell geschrieben, aber ich verstehe das Buch nicht, die Handlung ist mir irgendwann abhanden gekommen und außerdem quatscht Opa Paulsen ständig rein. Jetzt schon wieder: „Hach, Kinners, war dat herrlich früher, an jedem Strand ne Braut!“.

Da hat er Recht, der Opa Paulsen, ich erinnere mich auch. Im zarten Geflecht pubertärer Knospen verhakt, wurde sich erstmalig und ausschließlich, dafür vehement im Urlaub verliebt. Meine erste Strandbekanntschaft mit verbundener Liebeswallung war Melanie aus Wien. Ich war so fast schon Zwölf, sie war Dreizehn, schwarze Haare, dunkle Augen, volle Lippen, bereits angemalt. So was gab es nicht auf unserer Schule und die korsische Sonne wurde Zeuge meines erfolglosen Werbens. Zum Entsetzen meiner Eltern sprach ich auch drei Wochen nach dem Urlaub noch mit Wiener Akzent und es gab sogar Post aus Wien. Mit Foto! Melanie auf einem Pferd unter einem Schild, auf dem stand: Reiterhof. Melanie war unscharf und trug eine Reiterhaube, wie sie der behinderte Bruder meines Freundes Thomas trug, wegen der spastischen Anfälle, damit er sich nicht den Kopf anhaut, sein Bruder. Ich wurde wankelmütig.

Später erinnere ich noch Katja. Auf der evangelischen Jugendfreizeit in Frankreich. Ich war da mit meinem Freund Achim. Achim und ich hörten ausschließlich „The Cure“ und trugen, unheilbar, Wallendes zu Wallendem. Katja fand das toll und es gehörten uns am letzten Abend der Jugendfreizeit alle Sterne am Himmel und die ganze Nacht, die wir glückselig schweigend auf der Treppe der Jugendherberge verbrachten. Wir waren nicht müde, wir waren verliebt. Der erste Kuss im Morgenrot und Schlafen erst im Bus nachhause. Dabei lief Katja ein Speichelfaden aus dem leicht geöffneten Mund. Das sah so toll aus! Aber: Fernbeziehung, 35 Kilometer trennten uns, einmal fuhr mich aus großem Mitleid noch der Zivi der Kirchengemeinde zu ihr und wartete drei Stunden in einem Café, während wir bei ihr zuhause redeten. Tatsächlich nur das. Zweimal hab ich noch den Zug genommen, doch wir entfremdeten uns. Die Distanz war einfach zu groß.

An die folgenden Urlaubs-Verliebtheiten erinnere ich mich nicht mehr. Keine Gesichter. Keine Namen. Plötzlich alt genug, sich auch zuhause unglücklich zu verlieben.

„So jetz ma schön noch ein Bierchen, auch noch eins Paulsen?“, ich nicke matt, Hauptsache der Alte ist mal drei Minuten weg. Ich sehe in an der Bar stehen, die kalkweißen Stelzen leuchten aus seiner knappen Badehose, „dit is ein Frauenmagnet-Teil!“. Ich kucke ins Buch. Worte. Opa Paulsen ist zurück, drückt mir eine eiskalte Dose in die Hand: „ Macht zwei Euro, Kollege, so und jetzt los, ex und hopp, worauf wartest du eigentlich?“

Ich warte auf sie. In drei Tagen kommt die Liebste. Seit ich das weiß, hat sich das Dorf verändert. Schöner ist es geworden, größer, prächtig. Und ich freue mich darauf, wie ein Entdecker, der Liebsten alles zu zeigen, mit ihr zum Strand zu gehen, verliebt zu sein in sie, an meinem Strand. Natürlich habe ich keine Ahnung wohin ich die Liebste Abends zum Essen ausführen soll, das spielt aber auch keine Rolle mehr. Weil wir zusammen Essen gehen.

„Das mit der Musik, das sollten die aber auch mal sein lassen, oder sich kompetente Beratung suchen“, nölt Opa Paulsen und:„Ach, Tschuldigung, ich seh schon, der Herr denkt wieder!“ Die Musik an unserer Strandbar ist wirklich die Hölle: Oldies bis Ibiza. Doch gerade läuft „Still crazy after all this years“ und ich denke tatsächlich, ich denke, dass es so viele Jahre ja noch gar nicht sind, aber die schönsten meines Lebens, ganz sicher, und ich denke, dass ich immer verliebt bin. An jedem Strand der Welt. In sie.