Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 18. Mai 2006
Sprachlos in Barcelona

Neid und Missgunst begleiten gerne den Freischaffenden, dem es gelingt, einen Auftrag in der Fremde zu finden insbesondere wenn dieser sein Brot eine Weile am Meer, am Strand wo Sonne scheint, verdient. Alles Mumpitz, das kann ich Ihnen aber sagen. Denn das Wesen der Arbeit ist die Beschäftigung und es ist der Arbeit herzlich egal wo sie statt findet. Spätestens am zweiten Tag, nach weiteren zwölf Stunden Arbeit unter der jetzt schon spektakulär sengenden Sonne Spaniens, verwandelt sich das völlig unvorbereitete Nordlicht in ein Rotlicht, da helfen auch astronomische Lichtschutzfaktoren wenig.
Bliebe der Feierabend.

Da kann man Essen gehen. Zum Beispiel ins Restaurant „La Canasta“ in Castelldefels. Ich sitze da, rot glühend mit brennenden, verquollenen Augen und sehe insgesamt so aus, als hätte ich den Abend schon hinter mir den ich noch vor mir habe. Der einäugige Kellner erscheint, bringt die Karte und hält einen Vortrag. Und da ist es wieder, mein anderes Problem. Mit der Muttersprache klappt es seit ein paar Jahren ganz gut, ich kann auch in englischsprachigen Ländern überleben und auch auf Französisch fällt mir in wachen Momenten der passende Satz zur Lebenslage ein. Aber Spanisch? Ich kann sagen: „Hallo, mein Name ist Paulsen, ich bin aus Hamburg, wie geht es ihnen, danke sehr gut und ihnen, ein Bier bitte, danke, die Rechnung.“ Außerdem weiß ich, was Fleischklößchen auf Spanisch heißt und Pfefferschote und Lammfleisch. Das ist nicht viel und schon am Flughafen gingen die Probleme los. Eben in Barcelona gelandet, nannte ich dem bärtigen, katalanischen Taxifahrer mein Reiseziel. Während des Fluges hatte ich an einer möglichst flüssigen und beiläufigen Aussprache der Adresse gearbeitet. Der Mann drehte sich rum, riss die Augen erst weit auf (internationales Zeichen für Erstaunen), dann kniff er selbige zusammen und runzelte die breite Stirn (internationales Zeichen für Nachdenken), dann schüttelte er vehement den Kopf (internationales Zeichen für Nö, gibt es nicht). Ich reichte dem Mann den Zettel mit der Adresse nach vorn, erneutes Kopfschütteln, widerwillige Eingabe des Fahrziels in ein Navigationssystem (!) und schon dreißig Euro später stand ich vor meiner neuen Arbeitsstelle.

Im Restaurant gibt es kein Navi, aber gottlob, eine Deutsche Karte. Ich bestelle Blutwurst (Morcilla Burgos) und als Hauptgang gebratenen Kabeljau (Bacalao Brasa). Ungefragt wird geröstetes Brot (Pan Tostado) gebracht, dazu überreife, kleine Tomaten, Knoblauchzehen und Olivenöl. Das kenn ich! Mein deutschsprachiger Begleiter berichtet, das die Katalanen die Schwaben des Mittelmeeres seien und wo andernorts das Brot erst mit Olivenöl getränkt wird und dann mit Knoblauch und Tomate bestrichen, streicht der Katalane erst die Tomate auf, damit nicht zuviel des wertvollen Öls ins Brot sickert. Gut, dass wir keine Katalanen sind, ein bisschen Salz und groben Pfeffer noch, es schmeckt himmlisch. Die Blutwurst-Taler sind sehr fest und kross, eine Blutwurst mit Reis, die eigentlich gebraten wird, hier kommen die Taler aus der Fritteuse. Dafür entschädigt der Kabeljau, wunderbar zartblättrig zerfällt das Filet auf einem Berg weicher, weißer Bohnen die in Olivenöl und Knoblauch schwimmen. Dazu trinken wir eine Flasche „Gran Caus“ Rosado, ein spanischer Rosé der ausschließlich aus Merlot-Trauben gekeltert wird und mir mit 13 Umdrehungen den Rest gibt.

Während der Tage verschlimmern sich die Sprachprobleme. Das Hausmädchen des Fotografen, eine junge, fröhliche, kleine Person, hält mir unermüdlich sehr lange Vorträge. Über was, kann ich nur raten. Ich stehe in der Küche, lächle freundlich zurück, rufe zwischendurch: „Hallo, mein Name ist Paulsen, ich bin aus Hamburg, wie geht es ihnen, danke sehr gut und ihnen, ein Bier bitte, danke, die Rechnung.“, lächelnd macht sich das Hausmädchen dann an den Abwasch und erzählt mir nebenbei wortreich ihre Sicht der Weltenlage. Fleischbällchen.

Ich schäme mich wirklich sehr, es nervt, zur Sprachlosigkeit verdammt zu sein, zwei Fremdsprachen reichen einfach nicht, Kinder, denke ich, lernt mehr Sprachen und ich muss an die doofen Lateiner denken, die verlachten, vom humanistischen Gymnasium nebenan, damals. Selbst die könnten jetzt irgendetwas „Ableiten“ von ihrer „toten“ Sprache und in Windeseile, charmant das Hausmädchen aufs Kreuz legen, der Weltenbürger Paulsen sagt nur „Pfefferschote“.

Sprachlos bin ich auch während eines abendlichen Alleingangs, den Berg hinunter, über die Bahnschienen, zum Strand. An der Strandbar bestelle ich ein Bier (auf Spanisch!), dann schweige ich wieder. Es gibt auch nichts zu sagen, zu dem, was sich dort in der Abendsonne abspielt.

Ich bin in die Video-Dreharbeiten zu einem „Sommerhit“ geplatzt, an die dreißig, blutjunge, sonnenverwöhnte Bikinigirls werfen jubelnd die Hände in die Höhe, wiegen geschmeidig perfekte Körper vor der Meeresbrandung, zwei Kamerakräne fangen die perfekte Schönheit ein. Kleine, feste Hintern in winzigen Tangas drehen sich zur scheppernden Disko-Mucke, rotes, braunes, blondes Haar weht im warmen Abendwind, feine Schweißperlen, wie aufgesprüht auf den wohl geformten Gesichtern, den stolzen Wangenknochen. Zur Abkühlung betrachte ich die männlichen Tänzer. Der Anblick der hoch definierten, muskulösen Körper lassen meine Libido augenblicklich zu Erbsengröße schrumpeln. Jeder dieser Jungs trägt sechs eingeschweißte Frankfurter Würstchen unter der pergamentdünnen, goldbraunen Haut, da wo ich einen Bauch habe. Ich esse gerne Frankfurter Würstchen, irgendwas mache ich falsch. Auch einen Modetrend habe ich mitgebracht von diesem Dreh, Männer aufgepasst: kaufen sie sich eine Jogginghose in neongelb oder neongrün. Krempeln sie das linke Bein bis zur Wade hoch, das rechte Bein, Achtung, bis zum Schritt! Die Mutigen unter ihnen tragen dazu ein farblich passendes Stirnband. Ein T-Shirt ist unnötiger Ballast, sechs Frankfurter Würstchen tun es auch.

Insgesamt war mein Auslandseinsatz eine anstrengende Erfahrung, Neid und Missgunst sind unangebracht, lassen Sie es sich gesagt sein von ihrer Kioks-Glühbirne, dem sprachlosen Fleischklößchen Paulsen.
„De nada.“, wie der Hamburger sagt.