Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 1. März 2006
Dieses Blog zerstört sich selbst in 10..9..8..

Am vergangenen Samstag saß ich mit der Schriftstellerin Natalie Balkow beim Lieblingsgriechen und wir unterhielten uns über das Wegwerfen. Sie werfe viel weg, erzählte Natalie Balkow, ganze Geschichten, Texte, Skizzen. Wenn etwas nicht gut ist, kommt das weg. Befreiend sei das, sagte sie, und meinen Einwand, dass doch vielleicht wenigstens ein guter Satz in jedem Text stünde, ließ sie nicht gelten: „Wenn da ein guter Satz war, dann hab ich den im Kopf“. Diese Radikalität im Umgang mit Geschriebenem begeisterte mich sofort. Nun bin ich weder Schriftsteller noch Autor, ich blogge. Und plötzlich schwebte da hell und klar ein funkelnder Gedanke über meinem Eis beschlagenen Ouzo:

Das sich selbst zerstörende Blog.

Bloggen an sich ist ja schon eine recht eitle Sache, die eigene Gedanken-und Erlebniswelt für so interessant zu halten, dass man damit die Öffentlichkeit belästigt. Das ist im besten Falle unterhaltsam und anregend, hat aber in den meisten Fällen eine sehr begrenzte Halbwertzeit. Und das ist ja auch richtig und gut, das ist die Stärke des Bloggens, die unmittelbare Aktualität. Doch dann? Muss denn wirklich alles archiviert werden, wer soll das denn bitte alles noch lesen? Irgendwann legt sich der Datenmengen-Mantel gnädig über den alten Kram. Es gibt wirklich wenige Blogs die als Gesamtkunstwerk zu sehen sind.

Wie wäre es damit: jetzt sofort anfangen und für jeden neuen Blogbeitrag hinten einen alten Beitrag löschen! In meinem Falle wären dann nur die Beiträge des letzten Jahres noch greifbar und schon das ist eigentlich zuviel. Die Selbstdarstellung wäre auf einen Zeitraum begrenzt. Jeder und alles befindet sich doch ständig im Wandel, die alten Entgleisungen, Meinungen und Termine sind doch schnell überholt. Auch der Grundgedanke eines Online-Tagebuches ist doch absurd. Wenn überhaupt bedeutet Bloggen doch lediglich, ein eigens vorzensiertes Tagebuch ins Netz zu stellen, keiner ist doch so blöd hier alles zu veröffentlichen, wahrlich und ehrlich. Die wirklichen Kracher des Lebens sind zu einer Veröffentlichung sowieso nicht geeignet, die Angst vor mitlesenden Arbeitgebern und der eigenen Courage schränkt das ganze doch stark ein. Das wirkliche Tagebuch des Lebens ist in Kopf und Herz.

Trotzdem macht Bloggen ein bisschen gläsern, wer möchte kann anhand eines Blogs doch schon sehr viel über den Schreibenden erfahren und wer in seinem Blog nicht zur totalen Kunstfigur verkommt, macht sich im wahrsten Sinne des Wortes lesbar. Auch hier hilft das sich selbst zerstörende Blog, denn lesbar ist dann immer nur ein halbwegs aktueller, begrenzter Zeitraum der eigenen Gedankenwelt und niemand kann einen für Dinge verantworten, die man vor Jahren gedacht und geschrieben hat. Ein wirklich befreiender Gedanke.

Sorgen macht mir, dass ich noch zögere, diese wirklich brilliante Idee umzusetzen. Habe ich was übersehen?