Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 6. Februar 2006
Herr Paulsen geht aus: In fremden Rudeln

Die Liebste hat eine Einladung erhalten und ich darf als Begleitung mit. Frauen: sexy. Männer: korrekt. So steht es auf der Einladungskarte und es gibt Männer, die können sich aus diesen zwei Sätzen eine Weltanschauung zimmern. Ein erster Hinweis auf das sich ankündende Abendvergnügen? Ich bin zumindest erstmal ratlos. Korrekt? Die Liebste sagt: „Anzug, Hemd, Krawatte.“ Ich trage eigentlich nur Anzüge, die Liebste sagt: „Den guten Anzug.“, ich kucke ein bisschen beleidigt und sie fügt hinzu: „den sehr sehr guten Anzug.“
Ich befolge die Order, finde dann aber, dass ich aussehe wie ein BWL-Student und schlage vor, den sehr, sehr guten Anzug mit meinem schwarzen Motorhead-T-Shirt zu kombinieren, so als Stilbruch. Da lacht die Liebste, sagt: „Ich warne Dich, die sehen da alle so aus, aber mach das ruhig, bin wenigstens ich nicht mit so einem Schnösel unterwegs.“ Spätestens hier hätte ich gewarnt sein müssen. Ich rufe ein Taxi.

Die „Location“ ist angefüllt mit dichtem, beißendem Rauch. Um die vierzig Alpha-Männchen rauchen babyarmdicke Zigarren, als ginge es um ihr Leben. Männer in Smokings, in bis zum Bauchnabel aufgerissenen, weißen Hemden, streng gescheitelte, gewachste Frisuren, in den Achtzigern hätte man Yuppies gesagt. Es ist sehr laut, die Alpha-Männchen brüllen beim Rauchen, stolzieren mit steifen Nacken zwischen Büffet und Wein-Bar auf und ab, rütteln an Gürtelschnallen, sitzen breitbeinig am Tisch und hauen sich bei jeder Begegnung herzhaft auf die Schultern, rütteln sich gegenseitig die Nackenmuskulatur locker und brüllen sich dabei mit funkelnden Augen unentwegt ihre Namen zu. Vorsichtig schleiche ich zum Futterplatz, erhasche ein Schälchen Pot au Feu, welches ein stadtbekannter Gastronom angerührt hat, nehme mir einen Wein und esse erstmal, Essen beruhigt.

Von hinten schleicht sich ein Primat an die Liebste, bebrüllt sie mit ihrem Namen, wendet sich dann zu mir und röhrt: „Geiles T-Shirt, Mann!“, reißt am Sakko, öffnet erst die Linke Seite, blättert dann die Rechte auf, nickt anerkennend, brüllt „ja, geil“ und entschwindet. Ich brauche eine Sekunde, dann bemerke ich, er hat gar nicht auf mein T-Shirt gekuckt. „Ja,“ bestätigt die Liebste, „der hat nachgesehen, von wem dein Anzug ist.“.

Grimassierend fällt das Rudel über die Weine her, sie stürzen die edlen Tropfen herunter wie Apfelsaftschorle nach dem Sport, bemerken auch nicht, dass die aktuelle Flasche korkt. Der gereichte Käse wird in großen Batzen unentrindet eingeatmet (Die Rinde hab ich bezahlt, die esse ich auch mit ). Die stark geschminkten Weibchen sitzen unbeteiligt dazwischen, einige haben sich zu Gesprächskreisen zusammen gefunden und lachen laut und unbemerkt. Einige dürfen an der Zigarre ihres Partners mitrauchen, mit zusammen gekniffenen Augen jonglieren sie die qualmenden Äste in zarten Händen, der Rauch brennt stark in den Augen.

Über allem dröhnt ohrenbetäubend eine Mischung aus Deutschen Schlagern, alten Swingnummern und Diskokrachern. Die Alpha-Männchen erinnern sich jetzt ihrer Frauen und der Sakko-Spion von vorhin macht den Anfang. Er zieht ein blondes Weibchen mit rot geschminktem Mund vom Tisch weg, im Gang muss sie sich bücken und er peitscht sie mit einer Pfauenfeder aus. „Oh, uh, ah“, ruft sie und kreist den geschundenen Hintern, die Alpha-Männchen klatschen begeistert in die Pranken, genetische Programme laufen auf Hochtouren. Es folgt das sexuelle Werben durch Tanz.

Tanzen können die Alpha-Männchen! Die Weibchen werden in rasender Geschwindigkeit herum gewirbelt, immer wieder krachende Zusammenstöße, die Tanzfläche ein Autoscooter der Wirbeltiere, Territorialbestimmung mit Musik! Einige Männchen tanzen allein, dirigieren unsichtbare Orchester, wälzen sich auf dem Boden. Ein Alpha-Männchen versucht während einer zackigen Swingnummer seiner Partnerin die Arme auszureißen, wie eine Nähmaschine stößt und zieht er in rasendem Rhythmus am zierlichen Weibchen, diese lächelt gequält. Die Liebste und ich können auch tanzen. Wir lieben Swing und haben gelernt uns dazu ganz passabel zu bewegen. Plötzlich erklingt ein Lied, welches ich noch nie gehört (oder verdrängt) hatte. Die Liebste bekommt ganz komisch funkelnde Augen und zieht mich ganz nah zu sich. Ich rufe: „ach nein, das Lied gefällt mir nicht, ich mach mal Pause.“, aber Blick und Armgriff der Liebsten verstärken sich, sie duldet keinen Widerspruch, irgendetwas muss sein mit diesem Lied. Wir tanzen den ersten „Stehblues“ unserer nicht gerade neuen Beziehung, dabei säuselt mir die Liebste den Refrain ins gerötete Ohr: „Dreams, are my reality“. Das sagt mir jetzt nix, aber gut. Der Tanz mit der Liebsten ist wunderbar, dieses schreckliche Schmalz-Lied empfinde ich aber als Zumutung und ich wittere meine Chance: „Sach ma, schöner wird’s doch nicht, dieses Lied, dieser Tanz, das ist doch ein Höhepunkt, ich finde wir sollten jetzt gehen.“ Und tatsächlich, noch ein paar Mal brüllen, Nackenschlagen und Schulterkugeln quetschen und ich bin raus aus dem Urwald.