Dem Herrn Paulsen sein Kiosk |
Mittwoch, 18. Januar 2006
Testesser Paulsen berichtet: Das kleine Turnhallen-Tourette (Punk rock never dies)
herr paulsen
12:11h
Eigentlich wollte ich heute etwas über John von Düffels Roman „Houwelandt“ schreiben, ich reiche das nach, jetzt muss ich aber erstmal den Hemdkragen lockern und mich ein bisschen Aufregen. Über das Restaurant „Turnhalle“ in St.Georg. Stammlesern meiner Rubrik „Testesser Paulsen berichtet“ ist bekannt, dass ich lieber Empfehle statt zu Verreißen, ich erlaube mir das, weil ich keinem Anspruch auf Vollständigkeit unterliege und weil ich glaube dass dem Leser mit einer Empfehlung mehr geholfen ist, als mit einem knackigen Verriss. Beim gestrigen Besuch der „Turnhalle“ wurde mir aber schlagartig bewusst, dass es noch einen weiteren, wichtigen Aspekt der Testesserei gibt: Die Warnung. Wer die Turnhalle betritt ist höchstwahrscheinlich begeistert von diesem gigantischen Raum, den zehn Meter hohe Decken von denen Taue, Turnringe und riesige Lampen baumeln. Bis zu 700 Menschen passen hinein in den großzügigen Designer-Traum, 130 Sitzplätze hat das Restaurant, einen Lounge-Bereich, eine festlich erleuchtete, meterlange Bar, viel Holz, Leder und elegante graue Stoffe. Eine unüberschaubare Zahl von Servicepersonal kümmert sich um die Gäste, die Turnhalle ist fast immer ausverkauft. Ein schöner Ort, würde man dort nicht versuchen zu kochen. Bei meinem ersten Besuch bestellte ich eine Trüffelpizza mit Speck und Mozzarella, ein fett-triefender Fladen, dessen Anblick sofort Koliken hervorrief und nach dem ersten Stück bereits Pickel sprießen ließ. Aber ich komme ja gerne zweimal. Gestern also die Pizzakarte beiseite geschoben und hinein in die Gourmetkarte. „Salatgesteck“ lese ich da und denke an diese grünen, speckigen, mit Wasser voll gesogenen Blumenblöcke. Salatgestecke gibt es viele auf der Karte gerne „an“ irgendwas. Ich nehme sicherheitshalber das Carpacchio mit Pfefferschaum und sorge mich ein bisschen, ob der Pfefferschaum nicht das zarte Rind erschlägt. Die Sorge ist unbegründet, erschlagen wird das Fleisch und sämtliche Aromen auf dem Teller von einem großen Haufen Daikon-Kresse. Diese japanische Kresse-Sorte ist lila und wird darum gerne gestreut. Am erdig-muffig-scharfen Rettichgeschmack kann es nicht liegen. Der Koch hat sich Mühe gegeben, acht Scheiben haudünnes Rindfleisch mit 20 cm hohem Salatgesteck, Pesto rosso, Basilikumpesto, ins Fleisch eingearbeiteter Pfefferschaum. Aber vergebene Liebesmüh. Schon ein Daikon-Kressestengel betäubt Gast und Gericht gleichermaßen. Während ich die Kresse vom Carpaccio schabe, genieße ich ein Glas 2003 Bacharacher Riesling, der sehr gut schmecken würde, stürbe er nicht gerade in einem wuchtigen, schweren Glaskelch, in dem hier jeder Wein ohne Rücksicht auf Herkunft und Beschaffenheit vergewaltigt wird. Plötzlich riecht es streng. Feuer, Feuer, alle raus hier! Nein, sitzen bleiben, am Nebentisch fackelt der Service Garnelen ab. Das „flambieren“ der ohnehin schon tot gekokelten Tiere, entwickelt sich zu einem Großfeuer, die zarten Fühler und Füßchen der Tiere stehen in Flammen, es raucht ganz gehörig, der Service pustet irritiert ins Flammenmeer. Ich ignoriere den Gestank und antworte auf die Frage, ob es mir geschmeckt hätte, ehrlich. Es folgt ein Vortrag über die Hinterlistigkeit der Daikon-Kresse. Unsere freundliche Servicefachkraft verspricht meinen Monolog in die Küche zu tragen. Es folgt die Fischsuppe. Ja auf der Karte stand Fischsuppe. In der klaren, total versalzenen Safran-Consomée findet sich nicht ein Stück Fisch. Dafür ein ganzer Krebs, ein ganzer, ungeputzter Tintenfisch, zwei Miesmuscheln und eine Auster, deren steinige Schale schuppig in die Suppe rieselt. Ach ja, und total versalzen, erwähnte ich es? Das esse ich nicht. Die Servicekraft wird gerufen und es entbrennt ein erbitterter Streit zwischen ihr und mir, wem von uns beiden der ganze Abend peinlicher ist. Sie behauptet ihr sei das ganz schrecklich peinlich, mir ist das tatsächlich schrecklich peinlich. Denn das ist es, was mich wirklich in Rage versetzt. Das ich gezwungen bin, hier den Querulanten zu geben, weil einfach nichts schmeckt, nicht nur nicht schmeckt, sondern gedankenlos zusammen gewürfelt, oder wahlweise ungenießbar ist. Hauptsache Salatgesteck und Garnelen abfackeln. Ist doch wahr! An dieser Stelle schaltet sich die Liebste ein, erklärt der Servicekraft: „er ist sonst nicht so.“. Und was beschwichtigend gemeint, bedeutet bei genauem Hinhören nichts anderes als: da muss man sich schon sehr anstrengen, bis der Herr Paulsen im Restaurant in Wallung gerät. Ich pflege nämlich normalerweise kulinarische Körperverletzungen schweigend hin zu nehmen. Diese Diskussionen mit dem (unschuldigen) Service sind mir unangenehm. Hier aber stimmt nichts, leidenschaftslose Disko auf den Tellern, Augenwischerei und ich verhungere. Die Liebste schiebt mir die Hälfte ihrer Thunfischpizza rüber, die schmeckt. Und dann schiebt die Liebste noch eine Erklärung für diesen Abend hinterher, der mich sofort wieder fröhlich stimmt: Diese Vorstellung erfreute mein Herz und die unaufgefordert gereichte Nachspeise, ein Schokofondue mit frischen Früchten, befriedete mich ungemein. C´mon baby, eat the rich. http://www.turnhalle.com/
|
Online for 8140 days
Last update: 04.03.10, 19:50 status
Youre not logged in ... Login
recent updates
Gern gelesen:
Ami
Gern gehört:
Audioporncentral
Gern dabei:
NutriCulinary
|