Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 15. Januar 2006
Kochlöffel sind meine Lieblingsstöckchen II (mit Bonustrack: Opa Paulsen erzählt von Monsieur und dem Kotzbrocken)

Frau Mutant wirft ein Stöckchen, ein kulinarisches, da wird die Pflicht zum Vergnügen. Und weil es so schön reinpasst, erzählt Opa Paulsen unter Frage vier noch schnell die Geschichte von Monsieur, Obersturmbannführer Paulsen und dem Kotzbrocken.

1.welches nahrungsmittel o.ae. hat bei dir das erste mal (soweit du dich erinnerst) den gedanken "lecker" hervorgerufen?

Definitiv Götterspeise. Nicht irgend eine, nein es muss schon der grüne Wackelpudding von Dr. Ö sein. Das war auch das erste Rezept, das ich selber anrühren konnte. Mutter rief dann immer ich dürfte auf keinen Fall meinen Finger in die noch flüssige Speise tunken, irgendwelche Enzyme würden dann das Gelieren verhindern. Ich war fünf Jahre alt als ich sie der Lüge überführte.

2.welches nahrungsmittel o.ae. hat dich zum ersten mal richtig angewidert?

Kapern. Obwohl ich hohes Fieber hatte, und sehr grippal war, aß ich die servierten Königsberger Klopse, erbrach diese aber kurz darauf und fand schnell den Schuldigen. Es waren die Kapern. Ganz sicher. Mein Leben verlief daraufhin kapernfrei, bis mir ein Freund, der im VIENA, in Cas Concos /Mallorca kocht, ein Wiener Schnitzel mit frittierten (!) Kapern servierte. Grandios, diese kleinen, leicht salzigen, knusprigen Knospen.

3.hat sich diese einschaetzung im laufe deines lebens geaendert?

Absolut und das ist das Interessante an den ersten drei Fragen. Mir ist nämlich erst jetzt klar geworden, dass zumindest ich die kulinarischen Katastrophen meiner Kindheit überwunden, mich mit vielem was mir unessbar schien, versöhnt habe. Im Gegenzug haben sich die ersten kulinarischen Leidenschaften in lebenslange Liebe verwandelt. Schön.

4.magst du austern und kaviar und warum? beschreibe den geschmack/konsistenz.

Kaviar liebe ich. Die kleinen festen Perlen schmilzen im Mund, das Meer grüßt mit einem eleganten Hauch. Austern lehne ich ab. Der kulinarische Sinn dieser schleimigen Meeresrotze hat sich mir nie erschlossen. Auch sah ich zahlreiche Köche auf ihren Fischposten fast verbluten, weil sie ohne Stahlnetzhandschuh an den glitschigen Steinen abgerutscht waren.
An dieser Stelle erzählt jetzt Opa Paulsen noch schnell die Geschichte vom Kotzbrocken, dann dürfte alles klar sein:

Der Kotzbrocken

Wer sich in die Gluthölle einer sternendekorierten Restaurantküche begibt, um sein Geld als Koch zu verdienen, der lässt alle Hoffnung fahren und tritt einer Töpfe-rührenden Sekte von Eigenbrötlern bei, die unter sich bleiben, mit rotgeränderten Augen, schwitzend über schwarzen Eisenplatten zubereiten, was nur wenige Schritte weiter, verspeist und meist gepriesen wird. Hinter der Schwingtür schwelgt der Gast, die Fronten sind geklärt. Von drinnen dringt nichts durch die Wand aus gebellten Zubereitungsbefehlen und heißem Dampf, im Gegenzug leugnet der Gast die Existenz einer Küchenbrigade und setzt das Lorbeerkrönchen grundsätzlich nur dem Mann auf, dessen Name, gut lesbar, die Vorderseite der Speisekarte ziert.

Nur Stammgästen gelingt bisweilen der Sprung über den Servicepass. Verwirrung dann, auf beiden Seiten, künstlich grinsend starrt man einander an. Dein Gast, das unbekannte Wesen. Was? So viele Köche kochen hier? Schnell zieht es den Gast zurück zum Kerzenlicht, den Köchen eine Runde Bier.

Nicht so, Herr Warth. Stammgast. Distanzlos. Enthemmt. Laut.
Und ein echter Kotzbrocken.

Warths Auftritte waren berüchtigt und spektakulär. Der Alte hatte, und das pflegte er selbst in die Welt hinauszuposaunen, unter Hitler mehr als nur gedient. Er war Stammgast in unserem kleinen Gourmet-Restaurant, er kam nicht nur wegen der berühmten Kochkünste des Meisters, auch die Lage des Restaurants, nahe des Bodensees, im Dreiländereck, war günstig für ihn und seine Klienten.
Der alte Nazi war erfolgreicher Waffenhändler.

Sein Alter sah man ihm nicht an, er hatte die siebzig schon weit überschritten, gesund und kräftig sah er aus, fleischige, rote Wangen, ein Berg von einem Mann. Neben seinem unschönen Beruf pflegte Warth ein skurriles Hobby, das er bei uns auslebte. Er quälte Menschen mit Essen. Mit diabolischer Freude weidete er sich an den Gesichtern seiner, meist arabischen Kundschaft, die um Haltung ringend, gegen ein opulentes Menü ankämpften, unter 15 Gängen war nichts zu machen, beim alten Warth.
Er selbst war gesegnet mit einem guten Appetit, er traf stets vor seinen Gästen ein, erkundigte sich in der Küche nach dem Personalessen und verdrückte schon mal gerne mit Genuss einen Teller davon: „Gegen den ersten Hungerrrrr, ich sterrrb ja hier bis die Scheißkanaken endlich mit Ihrem Gebetsteppich angerauscht kommen.“

Wir waren immer gut vorbereitet, wenn Warth die Küche überfiel, Kartoffelsalat wurde noch mal mit Tabascosauce verfeinert, eine Suppe reicherten wir mit Fischinnereien an. Er schien das nicht zu bemerken, verschlang unbeeindruckt und hastig die gereichten Speisen. Was schert es die deutsche Eiche, wenn sich eine Sau an ihr reibt, war einer seiner Klassiker.

Eines abends dann, schlugen wir ihn mit seinen eigenen Waffen.
Alles lief wie immer, die Araber stöhnten leidend, Warth aß und orderte neue Speisen. Gegen halb zwölf, kurz nach dem Hauptgang, erschien er in der Küchentüre, knallte die Hacken zusammen und rief nach dem Chef:
„Verehrrrrter Meisterrr, diese grrrüne Sauce gerade, die war ein wahrlich göttlicher Schmaus, davon hätte ich gerne ein Glas mitgenommen.“
Der Küchenchef, Monsieur, ein Franzose mit Humor abseits der Norm, rief mich herbei und stellte mich Warth vor: „Das ist Herr Paulsen, der Obersturmbannführer unserer kalten Küche, er hat diese Sauce kreiert.“ Warth knallte erneut mit den Hacken, hob die Hand zum Hitlergruß und brüllte: „Obersturmbannführer Paulsen, meinen Rrrrespekt, grrrroßartige Leistung!“. Ich durfte Warth ein Gläschen Pesto abfüllen, er drückte mir fünf Mark in die Hand und raunzte verschwörerisch:“Das ist für dich, Kamerrrrad“.

Dann entdeckte er die Austern am Fischposten.
„Herrrlich, frrrische Austern, man bringe mir ein Dutzend, soforrt!“ Er aß zwei Dutzend. Und dann hatte Monsieur eine glorreiche Idee, eilte ins Restaurant und lud Warth auf ein weiters Dutzend ein.
Der nahm freudig an, leider hatte dieses letzte Dutzend, die Wirkung des berühmten Pfefferminzplätzchens in einem Restaurant-Sketch von Monty Python. Ohne Ankündigung erbrach Warth 14 Gänge, 32 Austern und drei Flaschen Rotwein auf den Tisch.

Die Araber schafften es mit grünbleichem Teint, noch zur Toilette und von dort, ohne Umwege, zu ihren Wagen in der Tiefgarage.
Warth reinigte sich oberflächlich, hinterließ 500,- DM Trinkgeld und wir haben den Kotzbrocken nie wieder gesehen.

5.wie steht es mit trueffeln und bries? beschreibe den geschmack/konsistenz.

Trüffel! Viel zu selten, aber immer sehnsüchtig. Trüffel riechen nach der frisch gewaschenen Haut einer schönen Frau und schmecken nach Sex mit derselbigen. Trüffel dürfen nicht gestört werden. Jede Begeleitung sollte sich zurückhalten wie ein perfekter Gentlemen.
Bries. Die Wachstumsdrüse des Kalbs. In Brühe vorgegart, ich Scheiben geschnitten und in schäumender Butter mit wenigen frischen Kräutern kurz gebraten. Meersalz, grober, schwarzer Pfeffer. Ein Himmelreich, das ich seit meiner Lehrzeit nicht mehr betreten habe.

6.welches "gourmet"-nahrungsmittel ekelt dich so richtig? warum?

Ich finde nichts ekelig, esse aber immer noch nicht alles. Austern zum Beispiel.

7.was wuerdest du gern mal essen, konntest es dir bisher aber nicht leisten/war nicht verfuegbar?

Kobe-Beef. Das butterzarte Fleisch des Wagyu-Rinds kann man auf der Zunge zerdrücken. Ich habe es während meiner Lehrzeit bei Monsieur gegessen. das war streng verboten. 50-80 Euro kostet ein Steak von 100 g derzeit. Es wird selten Angeboten, weil es äußerst rar ist. 100 g sind nicht genug. Ich spiele mit dem Gedanken, mir einmal ein Kilo zu bestellen und mit zwei, drei Freunden zu verspeisen. Dann treibt mir aber der Gedanke an den Postweg und den damit verbundenen Qualitätsverfall den Schweiß auf die Stirn und ich lasse es. Ich finde es gut, dass es nicht alles immer und überall gibt und das manche Dinge ihren Preis haben. Bleiben doch noch Träume!

Zusatzfrage von der Meisterköchin:

9. Welches Nahrungsmittel hat dich am meisten enttäuscht?

Erstmal, schön dass Sie wieder da sind Meisterköchin! Freut mich sehr!

Enttäuscht war ich mal sehr von 1000jährigen Eiern. Diese halbverwesten Dreck-Klumpen mit schillernd grünem Dotter und glasig-schwarzem Eiweiß schmecken tatsächlich wie sie aussehen. Naja, unserer Rache heißt Roquefort, den würden die Chinesen auch nicht essen.

Ich gebe den Kochlöffel weiter an Andropovs Onkel vom Trockendock. Der hat zu den Themen sicher was zu sagen;-)