Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Dienstag, 11. Januar 2005
Liebesprüfung auf dem Hindenburgdamm, Sylt & die Welt

Jubiläum! Heute sind die Liebste und ich zwei Jahre zusammen, mein Rekord im Zusammensein übrigens. Ich bin da aber nicht stolz drauf, denn es ist wohl dieser Rekord nur der Güte und Nachsicht der Liebsten zu verdanken. Es ist nämlich schwer mit mir zusammen zu leben. Ich weise in Ansätzen die Verhaltensmuster des Adrian Monk aus der Fernsehserie "Monk" auf und neben ungezählten Ticks bin ich vor allem eines: Vergesslich.

Zum Jubiläum und zu Ehren der Liebsten, heute eine kleine Geschichte aus den Anfängen unsere Liebe, die trefflichst zeigt, warum ich heute vor allem dankbar bin und was diese großherzige Frau alles erdulden mußte und noch tut.

Eine Liebeserklärung:

Pfingsten, 2003

Ich brauche Urlaub. Immer öfter sehe ich mich in letzter Zeit unerklärlich walten, Grobes sagen, Grobes meinen, Grobes tun und vor so manch schlimmerer Entgleisung behütet mich nur mein Genpool, der ein friedliches Gewässer ist, still und starr, bis der Alltag anfängt Steine reinzuschmeißen.

Auch vergesse ich immer häufiger Dinge.

Neulich sogar meine Freundin. Auf dem Weg nach Sylt. Am Verladebahnhof Niebüll.

Mein Leben lang habe ich Sylt gemieden, wie die Manolo Blahnik-Pömpsträgerin den Hundehaufen in der in der 5th Avenue. Der Vergleich hinkt ein wenig, denn es gibt auf der 5th Avenue gar keine Hundehaufen, zumindest sind die immer schon von Geisterhand hinweggehobelt, wenn sich eine Manolo Blahnik-Pömpsträgerin nähert.

Sylt ist immer da, ein Fliegenschiss im Meeresblau und auf blauen Mercedeskofferaumklappen von denen jeder Schiss wegpoliert wird, nur die Umrisse von Sylt, die werden poliert als hätte man die Insel höchst selbst entdeckt und fleißig mitgebaut am Hindenburgdamm, der die Insel mit dem Festland verbindet.

Autozüge schaffen die Massen über den Hindenburgdamm aufs Eiland, man muss geduldig warten am Verladebahnhof Niebüll. Stundenlang im Nieselregen, rot-weiß leuchtete es hinter den tropfennassen Scheiben der wartenden, inselaufkleberbeklebten, Wagen. "Bild" erzählt wer noch alles auf der Insel sein wird, an diesem Wochenende. Wer in der "Bild" steht kommt mit dem Helikopter, wer mit dem Auto kommt, liest in der Bild, wer mit dem Helikopter kommt.

Unruhig rutscht die Meine hin und her, ja ein Klo das wäre jetzt was, Regengeräusche untermauern klopfend den Wunsch nach weiß gekachelter Erleichterung und irgendwann schnappt sich die Liebste ihre Krücken und macht sich auf. In urlaubsreifer Ängstlichkeit rufe ich noch:“ bleib nicht zu lange fort, der Zug!, der Zug!“
Stunden würde es noch dauern, gleich hinter der Kurve, noch mal Schlangen, Schlange, Schlangen, beruhigt die Liebste und humpelt davon.

Im Winter war es, am dritten Tag, dem dritten Tag von dem exklusive Fernsehreportagen aus den tollen Skigebieten berichten, dem dritten Urlaubstag an dem sich Selbstsicherheit und Selbstüberschätzung, ein gepflegter Muskelkater und der teure Skipass erst die Hand schütteln und dann ein Bein stellen, gerne dem weit gereisten Nordlicht. Da hat die Liebste am Skihang Wolfgang kennen gelernt. Wolfgang brachte damals den Rettungsschlitten mit gekonntem Schwung zum stehen und stellte sich der Liebsten vor: "I bin dr Woifgang und wenn i di do nunda bring, no kost des was, hast a Geld?“

Jetzt ist Pfingsten und die Liebste humpelt zur Verladebahnhofstoilette Niebüll, rot leuchten ihre Krücken durch den Regen. Wie ich so hinterher schaue hupt es plötzlich, es geht weiter, ich lasse den Motor an und fahre um die Kurve. Dort, so berichtete mir die Liebste, solle ich in Schlange, Schlange, Schlangen, auf ihre Rückkehr warten. Sekunden später rumpelt es unter den Rädern und ich komme auf dem Oberdeck des Autozuges zu stehen, wie es sich die Liebste gewünscht hatte. Hoffentlich fahren wir oben mit, hatte sie gesagt und mir einiges an Unzüchtigkeiten versprochen hoch auf dem grauen Wagen. Jetzt bin ich ganz allein dort, stürze aus dem Auto um durch den Regenschleier meiner Liebsten zu rufen, da ruft es weiblich aus blechernen Eimern: " Bitte steigen Sie jetzt in den Wagen, ziehen Sie die Handbremse fest und legen Sie den ersten Gang ein, beziehungsweise schalten Sie in die Position P. Das Lenkrad bitte nicht einrasten lassen, wir wünschen gute Fahrt."
Schnell verschwindet der Verladebahnhof im Tagesgrau, vor mir der Deich, der Damm, das Meer, Sylt. Panisch schnappe ich mir mein Handy und wähle die Nummer der Liebsten. Es klingelt. Auf dem Beifahrersitz.

Gelähmt vor Schreck, überbrücke ich die Wartezeit bis zum erlösenden Anruf mit dem Zurechtrücken von Daten und Fakten und einer Verteidigungsstrategie die ich im letzten Kampf um unsere kurze Beziehung vorzubringen gedenke: Es ging plötzlich sehr schnell. Ich konnte nirgendwo raus fahren. Ich war verwirrt. Es regnete. Ich hasse Sylt. Ich brauche Urlaub. Ich liebe Dich. Aber auch: Du machst das doch schon seit zehn Jahren jedes Jahr. Wieso ging das plötzlich so schnell. Warum kann man da nirgendwo raus fahren. Liebst Du mich noch?

Da! Es klingelt! Das Handy der Liebsten auf dem Beifahrersitz. Wahrscheinlich kann Sie meine Handynummer noch nicht auswendig und ruft nun aus einer Telefonzelle ihr eigenes Handy an. Schlau!

"Ohgottohgottohgott,Süße, tut mir leid, ich...."
"Halloooohhoo! Meier hiiiiiier!"
"Oh, äh, hallo Frau Meier."
"Herr Paulsen, geben Sie mir doch bitte mal meine Tochter."
"Äh, Frau Meier. Das geht jetzt grade nicht."
"Seid Ihr denn schon auf Syyyylt?"
"Also ich, bin, äh, gerade auf dem Weg, sozusagen, nur , äh..."
"Wo ist denn meine Tochter?"
"Das, Frau Meier....... wüsste ich auch gerne."

Frau Meier befand per telefonischer Diagnose, das ihre Tochter doch entschieden zu oft auf Klo müsse, der arme Junge, noch nie nach Sylt und dann gleich sowas! Die Liebste kam einen Zug später und hat sehr gelacht. Da hab ich dann auch wieder gelacht und mir wurde ganz heiß, weil mir in diesem Moment bewusst wurde, dass ich gerne eine sehr lange Reise mit ihr antreten würde.
Meinetwegen über Sylt.
Durchs Leben.
Gemeinsam.