Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Sonntag, 9. Januar 2005
Herr Paulsens erbauliche Sonntagspredigt. Folge I: Plattenhändler

(Immer Sonntags macht sich Herr Paulsen an dieser Stelle Gedanken über die Unzulänglichkeiten der Welt.)

Plattenhändler diese selbstgefälligen Sadisten mit den verschlagen-arroganten Gesichtern, lieben es, ihre Kundschaft zu quälen. Ganz zu recht heißen sie auch schon seit einer Weile nicht mehr Plattenhändler sondern Plattendealer. „Ich geh mal zu meinem Plattendealer“! Was cool klingend, von jungen Menschen mit Taschengeld, eingeführt wurde, ist eine treffliche Demaskierung dieses durch und durch verdorbenen Berufsstandes.
Denn in ihren kleinen Bollerbuden, da wird nicht gehandelt, da wird gedealt und wie jeder Dealer, wissen sie um die Sucht ihrer Klientel und laben sich gehässig an deren Schwächen. Innenpolitisch geforderte Kundenfreundlichkeit in der Servicewüste Deutschland, i wo! Der Süchtige kauft auch noch nach extremster Demütigung dankend jede Platte die ihm sein Dealer zuteilt.
Der Plattendealer befindet sich ganz unten in der Glamour-Kette des Showbiz, er spielt kein Instrument, seine dünnen Arme taugen nicht zum Boxenschleppen, sein Hirn nicht zum Aushandeln von richtigen Plattendeals, er wird niemals Redakteur einer Musikzeitschrift, nicht mal zum DJ reicht es bei den meisten, Platten auflegen tut der Plattendealer außerhalb seines Ladens nur noch zuhause, ach, nicht mal das, er hat ja schon den ganzen Tag seinem ausgewählten Geschmackswirren gelauscht und die Ohren schmerzen. Der Umstand, nur noch ein Pickel am großen Gesäß der Musikbranche zu sein, lässt den Plattendealer oft mürrisch und verbittert dreinschauen, nur in seinem Laden, da freut er sich dann schon mal heimlich im Keller, den er erfährt dort jeden Tag, das es zum Pickel immer einen gibt, der ihn ausdrückt.
Den Kunden.

Es geht hier nicht um den Cd-Kauf. Hart trifft es den Vinyl-Fan, nur in extrembeschallten Kleinstbutzen mit despotischer Belegschaft bekommt er seinen Stoff.
Eben noch glaubt er sich ganz weit vorne mit seiner Abneigung gegen die mickrigen, unpersönlichen Silberlinge, vom schwarzen Gold im Schaufenster angelockt betritt er den „Record“-Store und fragt nach einer bestimmten Platte.
Glücklich wem es gelingt, die Aufmerksamkeit des Plattendealers auf sich zu ziehen. Es ist ein guter Tag, wenn er antwortet. Geradezu ein sonniges Gemüt, sei dem Plattendealern bescheinigt, der jetzt lediglich grummelt:
a. „gibt’s nicht“,
b. „gibt’s nur auf Cd“.

Das ist ein toller Laden! Immer wieder hingehen! Nicht aufgeben!

Üblicher sind nämlich folgende Reaktionen:
a. dröhnendes Gelächter, das abrupt erstirbt, gefolgt von einem mitleidigen Blick und den Worten: „da bist Du, ich schätz mal zwei Jahre zu spät.“, erneuter Lachanfall, ein Kollege wird hinzugezogen und freut sich jetzt auch.
b. „Kenn ich nich.“

„Kenn ich nich“, läuft immer einher mit dem siegessicheren Blick des musikalisch geschulten Dealers, es ist DEIN schlechter Geschmack, DAS muss ER nicht kennen. Beleidigend war eigentlich schon, ihn beim konzentrierten Preiseauszeichnen mit so einer blöden Frage zu belästigen.

Neulich versuchte ich eine Platte zu bestellen, höflich bat ich darum und ein Wunder geschah. „Bestell ich, dauert aber sechs bis acht Wochen.“ Ich war begeistert. Erschöpft von soviel Einsatz für den Kunden, widmete sich der freundlichste aller Plattenverkäufer wieder seinen Tonträgern. Zögernd hakte ich nach, ob er sich nicht Platte und Interpreten notieren wollte. „ Kann ich machen.“ nuschelte er erschöpft, zeichnete die Dax-Kurve auf einen Zettel und warf ihn in eine Tonne, die für mich, also schon, doch, doch, wie ein Papierkorb aussah.

In einem anderen Plattenladen suchte ich Unterschlupf für viele, viel Euros die ich zum Erwerb zahlreicher Platten gesammelt hatte und hörte mir ein paar Scheiben an. Gerade als ich Platte Nummer drei wieder zärtlich in ihre Hülle versenkte, verloschen die Lichter des Technics. Fragend sah ich den Betreiber der Geräte an, der sagte knapp: „hab ich ausgeschaltet.“

„Ja wieso den das!“, hakte ich nach, na gut, vielleicht etwas zu empört. „Drei Platten hören, eine kaufen, wieder drei Platten hören, einfache Kiste oder?“

Ich bin zu alt für den Scheiß, ja dünnhäutig bin ich geworden, gegenüber den Herabsetzungen durch schnöselige Plattenhöker um die zwanzig, deren einzige Lebensleistung das perfekte Sortieren von Schallplatten ist und überlege langsam, ob das den sein muß mit diesem Vinyl. Ist doch quatsch, natürlich ist der Sound weicher, aber so doll sind meine Boxen sowieso nicht und das ständige rumdrehen nervt auch ganz schön, im Bett oder auf dem Balkon. Und die schöne Coverart, ja mein Gott, mit den Augen geht’s ja noch ganz gut.

Wäre noch das Auflegen.

Ein DJ legt auf, nicht ein.

Aber gibt es jetzt nicht auch schon eine Menge CdJs? Party ist doch Party, gute Musik, bleibt gute Musik, die Tonquelle ist dem feiernden Publikum dabei schnurze, solange es nur denkt, die unglaublich tanzbare Partymucke würde von hart arbeitenden DJs, mittels Plattennadel aus feinstem Vinyl geschabt. Diese einfache Theorie habe ich mit einem befreundeten DJ ausgetestet. Wir waren von einer Werbeagentur engagiert , 200 Gästen und Angestellten im hippen Florida Art Hotel auf der Reeperbahn, das Tanzbein zu lernen. „Spielt viel House!“ hatte der Gastgeber gemahnt, wir besaßen zusammen 1,3 House-Platten, nickten aber gewichtig, die Kohle stimmte. Wir spielten unser Set, schon um zehn hatten wir die Werber auf der Tanzfläche, drei Stunden später wurde es ein bißchen knapp mit den schwarzen Scheiben, und wir griffen auf die gute alte (haha) Cd zurück. Knöpfchen drücken, Track wählen, einen halbwegs ordentlichen Übergang produzieren und dabei, wichtig, wichtig, den Kopfhörer geschäftig ans rechte Ohr pressen.

Die Plattenspieler ließen wir weiter laufen, links eine Platte mit unbedrucktem White Label, das kommt immer ungeheuer gut. Die Scheibe drehte sich, die Nadel lag aber nicht auf. Rechts lag die Nadel auf einem schönen Ohrenporno aus den Siebzigern „Isabel-Schenkel der Lust“. Da werden „Büsche“ entblößt und an „zarten Knospen“ gesogen, im Hintergrund stöhnte es frenetisch, all das bekamen die Werber nicht mit, sie hörten unserer Cds und fanden es wunderbar. Der Hausherr kam vorbei, wies mit dem Finger auf das altmodische „Schenkel der Lust“-Wichs-Vinyl und bescheinigte uns kennerisch: “Hip-Hop vom Feinsten!“

Also doch CD und den Vinyl-Terroristen ein Schnippchen schlagen?
Es ist so verführerisch einfach: demütigungsfreies Vorhören auf Amazon.de oder so,, bei Gefallen one-klick-buy und schon zwei Tage später bringt ein freundliche Kurier die gewünschte Musik ins Haus. Aber Ohweh! Was wird den dann aus all den schönen Lebensmaximen, die sich angehäuft haben mit den Jahren ? Vorbei ist es mit: das Geld bleibt im Viertel! Think global, act local! Rettet das Vinyl!
Da wird jeder Mausklick zur politischen Entscheidung und führt zum persönlichen Verrat. Aber mal wieder Arsch voll im Plattenladen, neenee, oder? Ist ja schließlich freie Marktwirtschaft, da kann ich doch kaufen was und wo ich will. Ab hier wird der Einkauf von Musik zur persönlichen Entscheidung und führt schlimmstenfalls lustfrei in die Einsamkeit. Also dann doch lieber wieder in den Plattenladen. Menschen treffen, seinen Plattendealer lieben lernen, mit erhöhtem Puls knisternd-neues Vinyl aus der Hülle ziehen, den Arm des Technics zärtlich-sanft auf die jungfräuliche Platte setzten und erwartungsvoll den ersten Tönen harren.

Ich glaube ich mach nen Plattenladen auf.