Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 22. Februar 2006
Eklat im Literaturhaus. Hellmuth Karasek vor Auftritt geflohen.

Gestern öffnete das Hamburger Literaturhaus seine heiligen Hallen erstmals der Clubliteratur. Die Schischischo, bekannt für höchst komische, leicht anarchistische Literatur-Unterhaltung, feierte Premiere im Prunksaal der Hochliteratur. Geladen waren als Gäste die Sängerin Jasmin Wagner (Blümchen), sowie Professor Hellmuth Karasek. Erstaunen und gespannte Erwartung sorgten für ein restlos ausverkauftes Haus. Die begnadeten Veranstalter taten was sie am besten können, weitestgehend sinnfrei die Zwerchfelle des Publikums schütteln. Nach dem Absingen der Schischischo-Hymne, einem Kinderlied über den Namen gebenden zwei Meter großen Hasen, gab es kurze, komische Texte der Autoren Weins und Posch, dazu ein sehr schönes Interview mit Jasmin Wagner, die sich als durchaus Humor begabt entpuppte und anschließend recht belanglos-schön ein Lied von ihrer neuen Platte zum besten gab. Eher albern dann die Kindergeburtstagsnummer„Literatur-Karaoke“. Menschen aus dem Publikum spielten und lasen aus Groschenromanen. In der Pause fragte uns eine ältere Dame, was denn „das alles soll?“. Wir zuckten die Schultern.

Zu diesem Zeitpunkt bezweifelten viele im Saal die Anwesenheit Karaseks, es schien nach der ersten Halbzeit unvorstellbar, dass Karasek dem Literaturzirkus beiwohnen würde. Doch dann wurde der Stargast mit einer liebevoll gestalteten Dia-Show angekündigt, die sein Leben darstellen sollte. Vergilbte Fotos aus dem Deutschland der vierziger und fünfziger Jahre, dazu frei erfundene Kommentare der Veranstalter („Hier Frau Karasek auf der Flucht im Gebirge, der kleine Hellmuth steckt in der Tüte neben ihr. Hinter Frau Karasek steht die Wehrmacht.“). Als Moderator Amtsberg eine Geschichte von Karaseks Katze erzählte, („Sie wurde gevierteilt. Mutter Karasek bastelte dem Bub aber aus Hackfleisch und Fellresten Ersatz.“), da sah ich Hellmuth Karasek zum ersten und letzten Mal an diesem Abend. Er war tatsächlich da gewesen, verließ aber in diesem Moment aufgebracht den Saal, die Veranstaltung, das Haus. Ihm hinterher, ebenfalls in Wallung, der Literaturbeauftragte der Stadt Hamburg. Im Foyer aufgebrachte Diskussionen, im Saal ging es einfach weiter. Ersatz für Hellmuth Karasek wurde eine Zuschauerin Namens Helga. Der Saal fiel in sich zusammen wie ein Soufflé am geöffneten Küchenfenster, eher schleppend der zweite Teil ohne Stargast.
Es blieb eine gewöhnliche, wenn auch sehr unterhaltsame Club-Literatur-Nummer, ein enttäuschtes Publikum, ein verärgerter Karasek und entsetzte Vermieter. Ob der angedachte Jahresvertrag zwischen Schischischo und Literaturhaus zustande kommt ist fraglich. Ebenso fraglich ob es Karaseks Empfindlichkeit oder die Unempfindlichkeit der Veranstalter war, die diesen Abend letztendlich scheitern ließ.