Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Mittwoch, 2. November 2005
Mutter kommt !

In wenigen Stunden kommen meine Eltern zu Besuch, herzliche Menschen, und doch überfällt mich eine kleine Nervosität. Sie kommen selten und als ich vor zehn Jahren knapp 800 Kilometer zwischen uns brachte, tat ich das nicht grundlos. Denn wir haben zwar unmittelbar nach den Pubertätskriegen unseren Frieden gemacht, der steht aber immer auf wackeligen Beinen und ein Besuch der Eltern ist bei aller Wiedersehensfreude auch immer eine harte Prüfung für den Nichtangriffspakt.

Einen Einblick mag die Schilderung des letzten Besuches meiner Eltern in Hamburg bieten (1998), eine Erklärung warum ich vielleicht in den nächsten Tagen eeetwas angespannt sein werde:

Eines Tages besuchten mich meine reizenden Eltern um mal nach dem rechten zu sehen. Das ihr Sohn im Schanzenviertel wohnte, das wussten sie aus „Spiegel-TV-Reportage“, war extrem gefährlich, Mutter beschwor bei jedem sonntäglichen Anruf, die Gefahren der offenen Drogenszene an der Sternschanze und beschwor mich, niemals die „Rote Flora“ aufzusuchen, bei meinem Faible für den linksradikalen Untergrund, könne ich da schnell in schlechte Kreise geraten. Mein angebliches „Faible für den linksradikalen Untergrund“, bezog sie auf einen, Jahre zurückliegenden, Besuch einer 1.Mai-Demonstration in Kreuzberg. Als depperter Tourist war ich damals dort in einen Kessel geraten und verbrachte drei Stunden, blind vom Tränengas im Hausflur einer netten türkischen Familie, fürsorgliche Autonome aus dem Schwäbischen wuschen mir die dicken Augen mit Wasser aus der Schwanenhals-Petflasche und gaben rührende Tipps: „wenn Du jetz naus gosch, no net renne, koi Panik, dia Wasserwerfer sin viel langsamer wie du.“

Der Wochenendbesuch meiner Eltern begann dann auch mit einem zünftigem Schanzenbummel. „Das Du hier wohnst, als nein, Du verdienst doch jetzt Geld Junge!“ Eilig transportierte ich meine Eltern in die Innenstadt, mit einem besorgten Blick auf die Uhr, registrierte meine Mutter, dass im Hanseviertel schon um kurz nach elf, Hummer verspeist und Champagner geschlürft wurde, quasi Mitten auf der Strasse. „Die verdienen halt gut, Mutter“, murmelte ich und schob meine Eltern Richtung Hafen. Die Barkassenfahrt machte allen richtig Spaß, ich stierte auf die braunen Wellen, Mutter wollte sich ausschütten über die Kommentare des Bootführers und mein Vater bestaunte die technischen Sehenswürdigkeiten.

Abends tischte ich Labskaus auf, dazu korrespondierten herrlichst einige Flaschen Astra und beschwingt machte sich die kleine Reisegruppe auf, Richtung Reeperbahn. „Ich muss mich mal einhacken, bei meinen Männern, nicht das ich hier noch überfallen werde!“, meinte Mutter und hakte sich ein. „Na toll,“, erwiderte ich, „vielleicht noch ein Schild um den Hals: blöde Touris?“
„Junge, Dir fehlt manchmal jeder Familiensinn, von wem hast Du das bloß?“fragte sich meine Mutter, dann wurden ihre Augen groß und funkelnd, sie löste sich aus der Familienkette und lief energisch Richtung größter Sexshop auf der Reeperbahn: „Da muß ich rein!“ hörten wir sie von weitem und folgten schicksalsergeben.

Wir Männer gingen gleich zur großen Porno-Bibliothek, mein Vater freute sich sehr, das es die Hefte jetzt in Farbe gibt, ich beobachtete, über den Rand eines Magazins, das „Teeny-Mädels-gesichtsglasiert“ versprach, meine Mutter, die entzückt die Auslagen der Dildo-Abteilung durchforstete. Es wurde dann ganz schrecklich. Meine Mutter schwenkte plötzlich einen gigantischen fleischfabenen Riesenlümmel über ihrem Kopf und krähte quer durch den Laden in Richtung meines Vaters: „Kuck mal, da musst du wohl noch ganz schön üben!“. Mein Vater wurde so bleich wie ich rot, der Ladenbesitzer entriss meiner Mutter den halben Meter Fleischwurst und sprach Mahnendes. Mutter war jetzt voll in Fahrt und stellte uns in der Porno-Ecke. „Ha!“ rief sie, riss wahllos Wixheftchen aus dem Regal, hielt Sie uns unter die Nase und triumphierte: „Auf so was steht ihr also! Männer!“ Vater und ich schüttelten die Köpfe, wie das sonst nur Eulen können.

Dann kam der Ladenbesitzer, der schon viel gesehen und erlebt hatte, in seinem Erotikkaufhaus, er sah uns an, zeigte auf meine Mutter und fragte mit ernster Stimme; „Belästigt sie diese Frau?“. Gerne hätte ich geantwortet: ja, sehr sogar. Stattdessen nuschelte ich: „Nein, das ist meine Mutter.“ „Dann nehmen Sie jetzt Ihre Mutter und verschwinden sie aus meinem Laden.“
Draußen stellte meine Mutter fest, dass das gerade ein großer Spaß war und verkündigte mit glühenden Wangen: „jetzt möchte ich in die Herbertstrasse.“