Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Donnerstag, 2. März 2006
"Ich will Liebe" Ein Hausbesuch bei Kerners Köchen

Es ist beinahe unmöglich, Karten für eine Aufzeichnung von Kerners Kochshow zu bekommen. Mehrfache Mailanfragen wurden stets mit Worten des Bedauerns und dem Hinweis beantwortet, man möge sich doch am St. Nimmerleinstag noch mal melden. Ein lieber Freund, eng verhaftet mit dem TV-Kochzirkus, besorgte uns dann unbürokratisch vier Karten für die gestrige Aufzeichnung um 20.00 Uhr. Doch auch vor Ort ist Warten eine Tugend, nein Karten gäbe es erst kurz vor der Sendung. Nervös nehmen die Liebste und ich in den dicken Ledersesseln der „Medialounge“ Platz, wie es uns befohlen wurde. Bester Laune sind nur unsere zwei Begleiterinnen, die Mutter der Liebsten und deren beste Freundin, die erstmal zu recht und lautstark die fehlenden Rauchmöglichkeiten beklagt und mich dann ins Foyer verschleppt, wo wir unter den wachsamen Augen eines Feuerwehrmannes einsam in eine zerknüllte Zigarettenschachtel aschen.

Zurück in der „Medialounge“ mache ich mich daran ein paar Drinks zur Überbrückung der Wartezeit zu besorgen und es entspannt sich folgender schöner Dialog zwischen mir und einer langmähnigen Schönheit deren prächtige 1,90 m schmuckvoll in das Kostüm einer großen Kaffeerösterei eingenäht sind:

„Ich hätte gerne einen....“
„Kaffee gibt’s nicht mehr.“
„...Weißwein“
„Der ist nur Deko, den machen wir nie auf.“
„Haben Sie vielleicht...?“
„Prosecco gibt es später, der hier ist für die Gäste im Studio reserviert.“
„Dann nehme ich Bier.“
Die Schönheit rüttelt am Bierkühlschrank.
„Der ist abgeschlossen und ich hab keinen Schlüssel.“
„Wir machen das jetzt mal anders, sie sagen mir, was sie so Schönes haben!“

Mit vier Gläsern Wasser kehre ich an den Tisch zurück. Die Zeit vergeht wie im Flug. Mäntel abgeben, den Feuerwehrmann belästigen, Karten abholen, den Feuerwehrmann belästigen, dann plötzlich warmer Gratis-Prosecco von Löwenmähne und rein ins Studio. Wir haben sehr gute Plätze. Das gemeine Volk wird murrend auf einem Balkon verstaut, sie werden verhungern und wissen das. Wir nehmen in der vierten Reihe Platz. Kameramänner, Kabelträger, Tonmenschen, Stylisten und Dekorateure wuseln emsig zwischen besorgten Platzanweiserinnen und orientierungslosen Zuschauern umher, es dauert ein bisschen, dann sitzen alle und wir bekommen Regieanweisungen. Intelligent und fröhlich sollen wir gleich kucken und immer „Ohhh!“ und „Ahhh!“ und „Mmmhhh!“ rufen und nett zu den Köchen sein, auch wenn es nicht schmeckt. Und wir sollen nicht böse sein, wenn der Johannes in der Sendung immer ruft: „Champagner für alle“ und es dann nur Prosecco gibt. Alle klatschen und rufen „Ahhh!“ als Herr Kerner auftritt. Dass der Mann heute schon drei Sendungen aufgezeichnet hat, sieht man ihm nicht an, funkelnde Augen und eine unbedingte Lust am Folgenden begleiten ihn. Dann kommen die Köche. Ein spannender Moment, das Küchenpersonal variiert immer ein wenig von Sendung zu Sendung, die Liebste und ich wissen genau wen wir sehen wollen und wen nicht. Lafer ist immer dabei, wir freuen uns auf den dicken König. Horst Lichters Bartspitzen winken uns wippend zu, sein rheinischer Humor ist, äh, bodenständig wie seine Kochfähigkeiten. Kolja Kleeberg, den singenden Koch aus dem „Vau“, über den freuen wir uns, der kann was. Frau Poletto erscheint und lächelt schmallippig ins Rund. Es fehlt noch wer und Kerner knurrt leicht ungehalten: „Frau Wiener braucht wohl wieder einen Extra-Auftritt“. Wir seufzen leise. Das der Herrgott uns an diesem Abend den Rainer Sass erspart hat, dafür danken wir sehr. Bei diesem ungehobelten, merkbefreiten ADS-Schreikasper geht mir regelmäßig der Messerkoffer in der Tasche auf, trotzdem hätten wir die unerträglich larmoyante Frau Wiener gerne noch gegen Tim Mälzer eingetauscht. Meinetwegen auch den Zacherl.

Los geht es, heute wird erotisch gekocht, verrät Herr Kerner, das Publikum macht „Mmmhh!“.
Kolja Kleberg säbelt an einem Schweineschinken herum, den er erotisch findet, 100 g für 24 Euro. Von Horst Lichter erfahren wir bei dieser Gelegenheit leider, dass er den Schinken seiner Frau am erotischsten findet. Hättest Du geschwiegen. Schinken mit rohen Artischocken und einer leichten Olivencreme werden gereicht, dazu drei Gabeln für 50 Leute, ich winke dankend ab, andere nicht. Frau Wiener präsentiert einen Schal auf dem steht tatsächlich, ich habe mir das nicht ausgedacht, dazu fehlt mir die Phantasie, also auf dem Schal steht tatsächlich:

ICH WILL LIEBE

Seine gesamte Persönlichkeit, derartig umfassend auf einem Stück Stoff auszudrücken, fordert allen Respekt und das Publikum schüttelt betroffen schweigend die Köpfe. Nur die Hartherzigen klatschen. Johann Lafer rollt derweil Stör-Lappen um ein Avocadopüree, türmt dreierlei Kaviar darauf und ich beginne zu beten. Das will ich probieren! Glück gehabt! Herr Lafer entdeckt der Liebsten Mutter im Publikum und serviert uns mit eleganter Verbeugung einen von zwei Tellern. Wir ignorieren die Umsitzenden und hauen richtig rein. Kerner fragt uns, wie es schmeckt und ich erinnere mich gerade noch rechtzeitig an die Regieanweisung, dass man in jedem Fall nett zu den Köchen sein muss und mache umfangreiche Handzeichen des absoluten Wohlbefindens. „Ahhh!“ ruft der Chor. Vorne auf der Bühne probiert auch Frau Poletto die Röllchen. Mit einem Schulterzucken spricht sie ihr Urteil: „Erotik für Reiche, würd ich mal sagen.“. Ich rutsche vor Lachen fast von der Tribüne. Überhaupt, Frau Poletto! Ich beginne diese Frau zu lieben. Ein verbaler Knaller nach dem anderen. Den bunten Salat mit Rindfleisch von Herrn Lichter kommentiert sie trocken mit : „Wenn man verliebt ist, schmeckt alles.“

Ach was erzähl ich, sie werden das ja alles selbst im Fernsehen sehen können. Auch das Tim Mälzer doch noch kam und unter tosendem Jubel eine Platte Schinken stahl. Aber einer der stärksten Momente dieser Sendung wurde, glaube ich, nicht eingefangen: Herr Kerner steht neben Frau Poletto und erzählt dem Publikum, dass Frau Poletto eine der wenigen, starken Frauen dieser Republik sei, die es zu einem Michelin-Stern gebracht hätten. In diesem Moment entglitten Frau Wiener sämtliche Gesichtszüge und ich sah zum ersten Mal einen Menschen innerlich in Tränen ausbrechen. Ihren Schal hatte Herr Lafer längst ganz hinten auf einem Ofen abgelegt.

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