Dem Herrn Paulsen sein Kiosk
Montag, 1. Januar 2007
"Frische Suppe" am Neujahrstag

Definitiv der erste kulinarische Höhepunkt des neuen Jahres und eine lebensrettende Tradition meiner norddeutschen Familie ist die "Frische Suppe". Am Neujahrstag läd Großmutter die gesamte Familie zur "frischen Suppe" ein. Um Zwölf Uhr. Man kommt besser nicht zu spät.

Aus Markknochen, Rinderbeinscheiben und hoher Rippe kocht sie bereits Silvester eine kräftige, duftende Brühe. Am Neujahrsmorgen macht sie dann Mehlklüten (Mehlklöße), knetet würziges Hackfleisch, rollt kleine Hackbällchen, schnippelt die Gemüse klein, kocht separat goldgelbe Kartoffeln und Reis, schneidet das butterzarte Fleisch in Stücke.

Punkt Zwölf kommen dann riesige Schüsseln der dampfend-heißen Suppe auf den Tisch, die Scheiben des kleinen Häuschens sind beschlagen, alle sitzen eng beieinander um den großen Tisch im Esszimmer und hauen ordentlich rein. Jeder muss erzählen wie er die Silvesternacht erlebt oder überlebt hat, es wird viel gelacht. Die Suppe wärmt ordentlich, schon nach wenigen Löffeln gerät man stark ins schwitzen, der Körper jubiliert, Lebensgeister steigen aus dem Dampf empor, Fettaugen zwinkern einem aufmunternd zu, es schmeckt fantastisch! Im Fernsehen läuft das Neujahrskonzert in brüllender Lautstärke, auch das ist Tradition. Dann wird Pudding aufgetragen und grüne Götterspeise mit cremiger Vanillesauce, dazu Pfirsiche aus der Dose. Opa kocht Kaffee, nicht ohne vorher jeden Gast darüber in Kenntnis zu setzen, dass es sich hierbei um "echten Bohnkaffee!" handelt. Opa geht nicht zu verschwenderisch mit dem Kaffeepulver um und so herrscht schnell Verwirrung: „also in dieser Kanne ist Tee!“ - „ich hab gar keinen Tee gemacht!“

Oma scheucht alle in die „gemütliche Ecke“, Berliner werden aufgetischt und Schmalznüsse, ein herrlich lockeres Mürbteig-Schmalzgebäck. Ein großer Friede überfällt mich und Dankbarkeit, für diesen Tag, diese Familie, diese Großmutter. Das neue Jahr kann kommen, ich bin gerüstet.